Zwischen Auszeichnung und Weckruf: Ein Queer-Prädikat für die Kirche
Katholisch.de, das Nachrichtenportal der katholischen Kirche in Deutschland, hat ausführlich über die Regenbogenpastoral in Österreich, und dabei vor allem über das von ihr verliehene a+o-Prädikat berichtet. Unter dem Titel "Zwischen Auszeichnung und Weckruf: Ein Queer-Prädikat für die Kirche" schreibt Christoph Paul Hartmann: "Queere Menschen werden in der katholischen Kirche bis heute diskriminiert. Dass dies vor Ort auch anders sein kann, zeigt ein queerfreundliches Prädikat, das sich kirchliche Stellen in Österreich zulegen können. Eine Idee auch für Deutschland?"
Wenn ein lesbisches Paar zum Pfarrbüro geht und sich segnen oder ihr Kind taufen lassen will, kann alles passieren: Entweder die Pfarrsekretärin heißt die beiden freundlich willkommen und schaut schonmal nach Terminen – oder dem Paar wird brüsk die Tür gewiesen. Welche von beiden Versionen eintritt? Ungewiss. In Österreich wollen Engagierte mit einem Prädikat nun die Orientierung erleichtern – eine Idee, die auch in Deutschland schon Wurzeln schlägt.
Sie stammt aus der evangelischen Kirche in der Alpenrepublik. Dort hat die "Plattform der lesbischen, schwulen und bisexuellen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Evangelischen Kirche in Österreich" im Jahr 2014 das "Prädikat a&o – akzeptierend und offen für alle Lebensformen" aus der Taufe gehoben. Damit werden queerfreundliche Gemeinden ausgewiesen. Eine Inspiration auch für die Katholiken, erzählt Franz Harant, der Leiter der "Regenbogenpastoral Österreich" unter dem Dach des Laienverbandes "Katholische Aktion". "Das hat mir direkt sehr gefallen, wir haben einen Arbeitskreis eingesetzt und Möglichkeiten ausgelotet".
Ein Problem dabei: Ressourcen. Denn die Mittel – finanziell oder personell – um Kriterien nicht nur aufzustellen, sondern auch zu überprüfen, hat die kleine Stelle nicht. Es musste also ein anderer Ansatz her. "Mir war da immer der Erfolg wichtiger als der Triumpf", formuliert es Harant. Also: Lieber im Kleinen etwas bewegen, als direkt dem ganz Großen zustreben. Anstatt eines überprüfbaren Zertifikats gibt es also nun ein Prädikat, das eher einer Selbstverpflichtung nahekommt. Eine Pfarrei oder eine Organisation erklärt durch ihre Leitungsgremien, dass sie eine queerfreundliche und queersensible Haltung hat, dass sie einen Bewusstseinsbildungsprozess zu queerem Leben anstößt und ihre Haltung auch öffentlich macht, etwa durch Anbringen einer Plakette und die Veröffentlichung der Verleihung. Dann gibt es das entsprechende Prädikat. Pfarreien und Organisationen verleihen es sich also mehr oder weniger selbst.
Das Ziel: Niedrigschwelligkeit
"Es war unser Ziel, dass das Ganze niedrigschwellig ist", sagt Harrant. "Unsere Anliegen sollen dadurch bekannt werden." Pfarrgemeinderäte sollten sich mit queeren Perspektiven befassen, das Thema in der Gemeinde eine Rolle spielen. "Das Prädikat ist in erster Linie ein Aufruf zur Auseinandersetzung."
Queeres Leben hat es bis heute nicht leicht in der katholischen Kirche. Laut Katechismus (KKK) soll einzelnen homosexuellen Menschen mit "Achtung, Mitgefühl und Takt" (2358 KKK) begegnet werden, mit Blick auf gleichgeschlechtliche Beziehungen wird jedoch festgehalten, dass sie "in sich nicht in Ordnung" seien (2357 KKK). Papst Franziskus sorgt mit Äußerungen zu menschlicher Vielfalt immer wieder für Aufsehen. Entweder, weil er eine Kirche will, die für "alle, alle, alle" offen ist oder weil er sich über "Schwuchtelei" in Priesterseminaren beklagt. Die Haltung der Kirche zu Menschen, die nicht in monogamen heterosexuellen Zweierbeziehungen leben oder sich ihrem bei ihrer Geburt zugeschriebenen Geschlecht verbunden fühlen, lässt sie nicht zu einem sicheren Ort für diese Menschen werden. Denn obwohl sowohl der Katechismus als auch Papst Franziskus gegen Ausgrenzung oder gar Gewalt gegen queere Menschen sind, werden sie dennoch tagtäglich in der Kirche diskriminiert.
Auch das Prädikat in Österreich ist keine Garantie dafür, dass queere Menschen in der Kirche uneingeschränkt sicher oder willkommen sind. Harant vergleicht das mit dem Siegel der familienfreundlichen Stadt: Da unterschreibe der Bürgermeister, dass eine Stadt familienfreundlich sei. Das heiße aber nicht, dass eine Familie nicht wegen ihrer lauten Kinder aus einer Gastwirtschaft geworfen werden könne. "Es gibt in dieser Hinsicht keine sicheren Orte", sagt er. Am Ende sage das Prädikat lediglich etwas über die Haltung des Pfarrgemeinderats aus.
Auf katholischer Seite gibt es das Prädikat in Österreich seit vergangenem Oktober. Erhalten haben es bislang 31 Pfarreien aus acht der neun österreichischen Diözesen und 32 katholische Organisationen, unter anderem Beratungsstellen gehören dazu. Für ein Dreivierteljahr und in Österreich insgesamt etwa 3.000 Pfarreien nicht besonders viele – aber Harant vertraut "auf die Sickerwirkung", wie er es ausdrückt. Er sei sich bewusst, dass er an einer "langwierigen und zähen Angelegenheit" dran sei. Aber immerhin: Das Thema sei dadurch bereits bekannter geworden. Ziel sei, dass queere Menschen "nicht nur eingeladen sind, sondern sich auch eingeladen fühlen". Er bekommt zwar immer wieder wütende Mails und Anrufe, dass das alles gar nicht ginge. Aber er bleibt optimistisch. Deshalb habe er das Thema auch schon nach Deutschland übermittelt.
Mehr Qualitätssicherheit in der Seelsorge
Dort, in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Queerpastoral, ist neben anderen queeren Basisgruppen auch die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) Mitglied. Für die HuK hat sich Michael Brinkschröder das österreichische Modell bereits angesehen. Er hält viel von der Idee: "Wir brauchen grundsätzlich Qualitätssicherheit im Bereich der Seelsorge und Pastoral für queere Menschen", sagt er. "Im Moment weiß man da nie, an wen man gerät."
Das könnte natürlich auch nach einer Prädikatsverleihung weiter der Fall sein. Deshalb gibt es in Deutschland bereits erste Ideen, über das österreichische Modell hinauszugehen. "Man könnte es zum Beispiel so machen, dass Pfarreien nicht nur eine Absichtserklärung abgeben, sondern praktische Schritte gehen müssen und für eine Verleihung etwa ihr Leitbild ändern müssten." Dazu könnte gehören, dass Kinder aus Regenbogenfamilien verlässlich am Ort getauft und queere Paare verlässlich gesegnet werden. "Das hätte den Vorteil, dass einige Dinge schonmal definitiv geklärt sind."
Das Problem auch in Deutschland: Für weitergehende Maßnahmen fehlen die Mittel. Das zeigt sich auch bei der Genese des Projekts. Wie es in Österreich vom ersten Schritt bis zur Umsetzung fast zehn Jahr gedauert hat, passiert die programmatische Arbeit auch in Deutschland nicht von heute auf morgen. "Die zuständige Arbeitsgruppe hat sich erst einmal getroffen und es gab einen Workshop beim Katholikentag. Das Projekt ist noch ganz am Anfang", so Brinkschröder. Jetzt müssen erstmal ein Konzept erarbeitet und Kriterien definiert werden. Brinkschröder ist aber zuversichtlich, dass es am Ende ein Prädikat geben wird. "Wir treffen da auf große Unterstützung und lebhaftes Interesse."
Das liege auch daran, dass es durch "#liebegewinnt" und "#OutInChurch" bereits etwa 200 Pfarreien gebe, die sich mit queeren Lebenswelten auseinandergesetzt haben, so Brinkschröder. Wie Harant sieht auch er zwei Dimensionen des Prädikats: Überhaupt den Prozess der Auseinandersetzung anzustoßen und sichere Orte zu schaffen. "Am Ende geht es auch darum, den Verwaltungsaufwand so niedrig wie möglich zu halten." Auch hierzulande wird es also letzten Endes um eine Selbstpositionierung der Pfarreien gehen.
Spannend wird noch, wie sich ein entscheidender Akteur verhält: die deutschen Bischöfe. In Österreich läuft das Prädikat ohne episkopale Beteiligung. In Deutschland möchte man der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) die entwickelten Materialien am Ende zumindest vorlegen und hofft auf einen Dialog. "Ich sehe da durchaus eine Chance der Zusammenarbeit, denn das Vertrauen in die Queersensibilität der Pfarreien kann nur wachsen, wenn queere Menschen an der Verleihung des Prädikats beteiligt werden."
"Haltung kann man nicht verordnen"
Das sieht auch der Essener Weihbischof Ludger Schepers so, der als Teil der Arbeitsgemeinschaft direkt an den Gesprächen über ein Prädikat beteiligt ist. "Die Perspektive queerer Menschen mitzudenken, kann eine Gemeinde oder Pfarrei nur bereichern", sagt der Beauftragte der deutschen Bischöfe für Queer-Pastoral. Ihm ist wichtig, dass es um mehr als äußere Zeichen geht. "Eine Haltung kann man nicht verordnen, sondern sie muss erfahrbar und erlebbar sein. Es reicht nicht, eine Regenbogenfahne aufzuhängen." Er wünscht sich, dass in Gemeinden mehr über queere Lebenswelten gesprochen wird. Erste Ansätze an der Basis gebe es dazu bereits in einigen Diözesen. "Ein Qualitätssiegel kann dann helfen, die Ergebnisse dieses Prozesses nach außen sichtbar zu machen."
Fraglich ist noch, wie weitreichend ein solches Prädikat in der Praxis eingerichtet werden kann. Denn die deutschen Bischöfe sind untereinander oft zerstritten, nicht zuletzt auch bei Fragen gesellschaftlicher Vielfalt. Ob es unter diesen Umständen ein einheitliches DBK-Prädikat geben wird? Fragen wie diese sind bislang noch offen. An ersten Leitlinien wird aber bereits gearbeitet. Auch, wenn vor der Kirche in Deutschland noch viel Arbeit liegt, ein Anfang ist gemacht.
(jp/16.7.2024)